In einem seltenen Solo-Auftritt entführt Joel Gibb, das Herz der kanadischen Kultband The Hidden Cameras, das Publikum in die Tiefen seines Œuvres – von folkloristischen Balladen bis hin zu neuem, pulsierendem Dance-Elektronik-Material aus dem aktuellen Album Bronto.
The Hidden Cameras, dieses fluid geformte Kollektiv aus Toronto, das Joel Gibb 2001 als sein geistiges Kind ins Leben rief - ein Orchester aus klassisch geschulten Streichern und autodidaktischen Rebellen - das Folk mit Rock, Balladen mit hymnischer Ekstase vermengt und die Grenzen des Indiepops neu zeichnet. Nun, in einem intimen Solo-Setting, das an die rohen Ursprünge von Ecce Homo (2001) erinnert, entblößt Gibb nicht nur seine Stimme, sondern die Seele eines Werks, das Millionen Streams auf Plattformen wie Spotify und SoundCloud umfasst. Hier, fernab der opulenten Bühnenbilder mit Go-Go-Tänzern in Balaklavas und Chören, die Kirchen in Tanzhallen verwandelten, wird die Essenz pur: Gibb, der Berliner Nomade, der einst in Pornokinos und Parks auftrat, webt ein Geflecht aus unterschiedlichen Fäden – zarte Folk-Melodien, die von The Smell of Our Own (2003) stammen und als Meilenstein des Chamber Pops gelten, rockige Ausbrüche aus Mississauga Goddam (2004), balladeske Introspektionen und poppige Anthems, die das gesamte Spektrum der Cameras durchmessen.
Doch diese Rückschau ist kein bloßer Nostalgie-Trip; sie mündet in die Zukunft. Erstmals präsentiert Gibb neu produzierte Dance- und Elektro-Songs aus dem aktuellen Album BRONTO. Titel wie „How Do You Love?“ oder die an Ennio Morricone und Vangelis angelehnten Instrumentale aus BRONTO klingen wie eine Reinkarnation: euphorisch-melancholisch, mit Basslinien, die den Körper zum Zittern bringen, und Streichern, die von langjährigem Weggefährten Owen Pallett arrangiert wurden. Es ist, als ob Gibb, der einst die erste kanadische Band bei Rough Trade war und damit Türen für Indie-Künstler wie Arcade Fire öffnete, nun die Schatten seiner baptistischen Kindheit in neonbeleuchtete Ekstase taucht – ein Soundtrack für die „Indie boy gone bad“, wie der Guardian kürzlich titelte.
Die Bedeutung der Hidden Cameras reicht tiefer als bloße Alben: Kollaborationen mit Ikonen wie Feist, Rufus Wainwright, Chilly Gonzales, Pet Shop Boys, R.E.M. und Mocky zeugen von Gibbs Netzwerk als Talent-Inkubator – frühe Mitglieder wie Owen Pallett oder Arcade-Fire-Zellistin Mike Olsen starteten hier ihre Karrieren. Kritische Akkoladen häuften sich: Pitchfork und The Guardian priesen die „reckless enthusiasm“ ihrer Live-Shows, die von The Smell of Our Own bis Age (2014) die Szene elektrisierten; das 20-jährige Jubiläums-Remaster von 2023 katapultierte den Debüt-Hit „Golden Streams“ zurück in die Charts. Und jenseits der Bühne? Gibb, der Bildhauer und Filmemacher, dessen Banner und Zeichnungen Tate Modern zierten, hat mit Filmen wie Music Is My Boyfriend (2023) die Toronto-Queer-Szene verewigt.